Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes, so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird. Man spricht in diesem Zusammenhang von den sogenannten außergewöhnlichen Belastungen allgemeiner Art nach § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Eine der Voraussetzungen, damit eine Steuerminderung mit außergewöhnlichen Belastungen funktioniert, ist die Zwangsläufigkeit. Das praktische Problem dabei: Die Nachweisbarkeit. Die Zwangsläufigkeit von krankheitsbedingten Aufwendungen soll daher in der Regel durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers nachgewiesen werden. Ausweislich der seinerzeitigen Änderungen durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 ist insoweit aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 64 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) bei bestimmten Maßnahmen und Aufwendungen der Nachweis der Zwangsläufigkeit in qualifizierter Form zu führen. So gibt die Einkommensteuer-Durchführungsverordnung vor, dass die Zwangsläufigkeit durch ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung des medizinischen Dienstes der Krankenkassen zu führen ist. Dies gilt vor allem mit Blick auf wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden.
Da ausweislich der Regelung in der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung der zu erbringenden Nachweis auch vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestellt sein muss, hilft eine nachträgliche Bescheinigung nicht. Dies macht es in der Praxis nicht unbedingt einfacher, die Kosten für nicht wissenschaftlich anerkannte Heilmethoden als außergewöhnliche Belastung steuermindernd anzusetzen.
Umso erfreulicher ist daher ein Urteil des Finanzgerichtes Rheinland-Pfalz vom 4.7.2018 unter dem Aktenzeichen 1 K 1480/16. Nach dieser Entscheidung darf ein Steuerpflichtiger Kosten für eine wissenschaftlich nicht anerkannte Heilmethode auch dann als außergewöhnliche Belastung steuerlich geltend machen, wenn er dem Finanzamt zum Nachweis der Erforderlichkeit der Behandlung nur eine kurze Stellungnahme des Amtsarztes und kein ausführliches Gutachten vorlegt.
Im Urteilssachverhalt ging es um ein zweijähriges Kind, welches aufgrund von Komplikationen bei der Geburt schwerbehindert war. Die Eltern ließen ihre Tochter in einem Naturheilzentrum behandeln, wofür schließlich Kosten in Höhe von 16.800 Euro aufgewendet wurden. Da die Krankenkasse die Erstattung der Aufwendungen abgelehnt hatte, sollten die Kosten im Rahmen der Einkommensteuererklärung als außergewöhnliche Belastung angesetzt werden. Zum Nachweis der Zwangsläufigkeit legten die Eltern ein privatärztliches Attest einer Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde vor, aus dem zu entnehmen war, dass bei dem schweren Krankheitsbild jeder Versuch, das Ergebnis zu verbessern, für die Familie wichtig und auch medizinisch jeder positive Impuls für das Kind zu begrüßen sei, weshalb sie auch ärztlich die Teilnahme am Förderprogramm des Naturalzentrums empfehle. Zusätzlich hatte exakt auf diesem Attest auch der zuständige Amtsarzt vermerkt: „Die Angaben werden amtsärztlich bestätigt“.
Allein in dieser kurzen Bestätigung des Amtsarztes wollte das zuständige Finanzamt jedoch kein Gutachten erkennen, wie es das Gesetz fordert, weshalb es schlicht die Behandlungskosten nicht zum Abzug als außergewöhnliche Belastung zulassen wollte. Ist in dem Vermerk des Amtsarztes ein Gutachten zu sehen oder nicht, das ist daher hier die entscheidende Streitfrage.
Erfreulicherweise setzten sich die Eltern gegen die starre Meinung des Finanzamtes zur Wehr und klagten mit Erfolg. Auch das erkennende erstinstanzliche Finanzgericht stellt in diesem Zusammenhang fest, dass der Nachweis der Zwangsläufigkeit durchaus in qualifizierter Form geführt werden müsse. Dennoch ließ das Finanzgericht den Abzug als außergewöhnliche Belastung zu, weil es die Voraussetzung erfüllt sah.
Auch wenn in der gesetzlichen Regelung der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung tatsächlich der Begriff „amtsärztliches Gutachten“ verwendet wird, soll nach Meinung des Finanzgerichtes Rheinland-Pfalz der einfache Bestätigungsvermerk des Amtsarztes auf dem Attest ausreichen und als ein solches Gutachten zu werten sein.
Die Begründung der Richter ist dabei durchaus nachvollziehbar und schlüssig. Die Vorschrift der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung ermächtigt nämlich nicht nur den Amtsarzt, sondern in gleicher Weise auch den medizinischen Dienst der Krankenkasse, die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen bei unkonventionellen Behandlungsmethoden zu bestätigen. Hierfür muss der medizinische Dienst allerdings nur eine Bescheinigung ausstellen. Insoweit erkannte das Finanzgericht eine Ungleichbehandlung, weshalb mit Rücksicht auf Sinn, Zweck und historische Entwicklung der Vorschrift dementsprechend an das im Gesetz geforderte Gutachten des Amtsarztes keine höheren Anforderungen als bei einer Bescheinigung zu stellen sind. Im Ergebnis reicht der kurze Vermerk des Amtsarztes damit aus, dass die Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Heilmethoden für das behinderte Kind steuerlich im Rahmen der außergewöhnlichen Belastungen allgemeiner Art abzugsfähig sind.
Exkurs: | Die Entscheidung des Finanzgerichtes Rheinland-Pfalz ist mittlerweile rechtskräftig, weshalb sich andere betroffene Steuerpflichtige durchaus im eigenen Fall auch auf das erstinstanzliche Urteil beziehen sollten. Es zeigt sich doch immer wieder, dass der Fiskus mit überbordenden Formalien scheitert. |