Negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, können entweder im Vorjahr steuermindernd berücksichtigt werden oder werden in die Zukunft vorgetragen. Entsprechende Verluste werden dann mit einem Verlustfeststellungsbescheid zum Ende eines jeden Kalenderjahres festgehalten, damit sie zukünftig berücksichtigt werden können. Für die Einkommensteuer (und ebenso auch die Körperschaftsteuer) ist dieser Verlustabzug in § 10 d des Einkommensteuergesetzes (EStG) geregelt. Eine entsprechende vergleichbare Regelung findet sich für die Gewerbesteuer in § 35 b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG).
In beiden Vorschriften ist dabei analog geregelt, dass bei der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen sind, wie sie in der Steuerfestsetzung des Veranlagungszeitraums, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag festgestellt wird, und des Veranlagungszeitraums, in dem ein Verlustrücktrag vorgenommen werden kann, zugrunde gelegt worden sind. Mit dieser Regelung soll erreicht werden, dass der Steuerpflichtige in Fällen, in denen ein bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid vorliegt, später eine Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages mit anderen Besteuerungsgrundlagen als in der Einkommensteuerfestsetzung nicht beantragen kann. Dies führt im Endeffekt dazu, dass der Einkommensteuerbescheid (oder auch analog der Bescheid über den Messbetrag zur Gewerbesteuer) wie ein Grundlagenbescheid für den Verlustfeststellungsbescheid wirkt, obwohl er definitiv kein Grundlagenbescheid ist.
Im Rahmen dieser Regelung ist es nun streitbefangenen, ob eine Berücksichtigung weiterer Verluste bei der alleinigen Anfechtung nur des Verlustfeststellungsbescheides erreicht werden kann, wenn der Einkommensteuerbescheid (oder alternativ der Körperschaftsteuerbescheid) bzw. der Bescheid über den Messbetrag zur Gewerbesteuer aufgrund einer Steuerfestsetzung von null Euro nicht angegriffen wurde.
Das Hessische Finanzgericht hat hier in einem rechtskräftigen Beschluss vom 29.10.2015 unter dem Aktenzeichen 4 K 307/15 die steuerzahlerfreundliche Meinung vertreten, dass in solchen Fällen auch der Verlustfeststellungsbescheid noch geändert werden kann, selbst wenn der oder die Steuerbescheide aufgrund der Null-Festsetzung nicht angegriffen wurden. Leider ist diese Meinung aber nicht gefestigt, sondern vielmehr umstritten.
Das ebenso erstinstanzliche Finanzgericht Düsseldorf vertritt nämlich leider in seiner Entscheidung vom 16.02.2016 unter dem Aktenzeichen 10 K 3686/13 F eine gegenteilige Meinung, also eine Auffassung auf Linie der Finanzverwaltung. Danach soll die Neuregelung des Verhältnisses von Einkommensteuerfestsetzung und Verlustfeststellung durch § 10 d Abs. 4 Satz 4 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 zur Folge haben, dass im Verfahren zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags keine eigenständige Einkünfteermittlung mehr stattfindet. Insoweit soll eine Beschwer durch die Einkommensteuerfestsetzung auf null Euro auch dann gegeben sein, wenn der Steuerpflichtige den Ansatz des Gesamtbetrages der nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte im Rahmen der Besteuerungsgrundlagen rügt und diese nach seinem Vortrag zu einem höheren verbleibenden Verlustvortrag führen. Dies hört sich zunächst positiv an, allerdings ist die Folge dieser Auffassung dann auch, dass bei einer Steuerfestsetzung von null Euro der Steuerbescheid immer mit angegriffen werden muss, auch wenn als Ziel nur ein höherer Verlustvortrag im Verlustfeststellungsbescheid erreicht werden soll. Im Ergebnis bedarf es daher immer der Einspruchseinlegung sowohl gegen den Verlustfeststellungsbescheid als auch gegen den entsprechenden Steuerbescheid.
Diese Auffassung vertritt aktuell leider auch das Finanzgericht Berlin-Brandenburg unter dem Aktenzeichen 10 K 10.105/15 in seiner Entscheidung vom 06.04.2017. Ähnlich zu dem Düsseldorfer Fall urteilten die erstinstanzlichen Richter auch hier: Nach der Neuregelung des § 10 d Abs. 4 EStG und § 35 b Absatz 2GewStG durch das Jahressteuergesetz 2010 ist auch dann eine Beschwer im Sinne von § 350 der Abgabenordnung (AO) bzw. § 40 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) für eine Anfechtung eines Körperschaftsteuer-(gegebenenfalls auch Einkommensteuer-) bzw. Gewerbesteuermessbetrags-Bescheids gegeben, wenn die festgesetzte Steuer bzw. der festgesetzte Messbetrag null Euro beträgt, der Steuerpflichtige aber den Ansatz der Besteuerungsgrundlagen im Hinblick auf eine begehrte Verlustberücksichtigung rügt.
Entsprechend dieser Entscheidung gilt daher: Hat der Steuerpflichtige mit dem Ziel einer höheren Verlustberücksichtigung nicht den Steuerbescheid bzw. den Bescheid über den gewerbesteuerlichen Messbetrag, sondern nur die Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer/Einkommensteuer bzw. des vortragsfähigen Gewerbeverlustes angefochten und sind die Steuer- bzw. Messbescheide verfahrensrechtlich nicht mehr änderbar, so ist eine Berücksichtigung der geltend gemachten weiteren Verluste ausgeschlossen.
Exkurs: | Erfreulicherweise ist diese Entscheidung des Finanzgerichtes Berlin-Brandenburg nicht rechtskräftig geworden. Insoweit müssen aktuell die obersten Finanzrichter der Republik unter dem Aktenzeichen XI R 50/17 klären, ob es für den Verlustfeststellungsbescheid bei der Bindungswirkung des § 10 d Abs. 4 Satz 4 EStG bzw. des § 35 b Abs. 2 Satz 2GewStG jeweils in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 bleibt, wenn eine Änderung des Steuerbescheides des Verlustentstehungsjahres unabhängig von der fehlenden betragsmäßigen Auswirkung auch verfahrensrechtlich nicht mehr möglich ist. |
Tipp: | Betroffene sollten sich an das Musterverfahren anhängen und weiterhin die Änderung des Verlustfeststellungsbescheides fordern. Dies sollte jedoch aus Gründen der Vorsicht nur für Fälle gelten, bei denen die Steuer- bzw. Messbescheide verfahrensrechtlich nicht mehr änderbar sind.
In allen anderen Fällen empfiehlt es sich, auch gegen diese Bescheide Einspruch einzulegen, damit die Berücksichtigung des höheren Verlustes auch dann noch möglich ist, wenn der Bundesfinanzhof in München das vorliegende Musterverfahren negativ entscheiden würde. Immerhin gilt auch hier: Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand! |