Der Bundesfinanzhof hat schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel bezüglich der Nachzahlungszinsen von 0,5 % für jeden vollen Monat, die ab dem Veranlagungszeitraum 2015 erhoben wurden, geäußert. Er hat daher mit Beschluss vom 25. April 2018 unter dem Aktenzeichen IX B 21/18 in einem summarischen Verfahren die Aussetzung der Vollziehung (also lediglich den vorläufigen Rechtsschutz) gewährt. Die obersten Finanzrichter der Republik begründen dies mit der realitätsfernen Bemessung des Zinssatzes, die den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletze.
Der gesetzlich festgelegte Zinssatz überschreitet nach Ansicht der erkennenden Richter des Bundesfinanzhofs den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität erheblich, da sich im Streitzeitraum ein niedriges Marktzinsniveau strukturell und nachhaltig verfestigt habe. Wirtschaftliche Realität ist immerhin eine seit Jahren andauernde Niedrigzinsphase, deren Ende auch nicht wirklich oder zumindest nicht vollständig absehbar scheint.
Darüber hinaus sei der Gesetzgeber nach Ansicht des Bundesfinanzhofs auch aus verfassungsrechtlicher Sicht angehalten zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung zu der in § 238 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) geregelten gesetzlichen Höhe von Nachzahlungszinsen auch bei dauerhafter Verfestigung des Niedrigzinsniveaus aufrechtzuerhalten sei oder die Zinshöhe herabgesetzt werden müsse.
Aufgrund dieser sicherlich unbestrittenen Fakten soll daher nach dem Willen der FDP-Fraktion aufgrund eines Antrags im Bundestag vom 5.6.2018 der Zinssatz für Nachzahlungszinsen zeitnah und realitätsgerecht nach unten korrigiert werden und dabei auch direkt eine Kopplung an einen Referenzzinssatz geprüft werden.
Die FDP begründet insoweit ihren aus unserer Sicht zu begrüßenden Antrag wie folgt: Derzeit werden bei der Verzinsung von Steuernachforderungen monatlich 0,5 % Zinsen erhoben, also jährlich 6 %. Oftmals überschreiten die zu zahlenden Zinsen sogar die eigentliche Steuernachzahlungssumme, was der Autor insbesondere in Betriebsprüfungsfällen bestätigen kann.
Der vom Bundesfinanzhof so in seltener Eindeutigkeit und Klarheit gefasste Aussetzungsbeschluss macht dabei bereits deutlich, dass schon heute der jetzige Zinssatz von 6 % nicht angemessen ist und schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit aufwirft.
Der unveränderte Zinssatz von 6 % p. a. für Steuernachzahlungen besteht seit mehr als 50 Jahren unverändert. In Zeiten von langandauernden Niedrigzinsen ist dies unverhältnismäßig und eine ungerechte Behandlung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Gerade vor dem Hintergrund eines extrem niedrigen Marktzinses ist eine Absenkung des Zinssatzes für Nachzahlungszinsen geboten.
Neben der eigentlichen Höhe des Zinssatzes werden in dem Antrag jedoch auch noch andere Ungerechtigkeiten aufgegriffen, die aus unserer Sicht vielleicht sogar noch schwerwiegender anzusehen sind. So beginnt der Zinslauf für Nachzahlungszinsen 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist, und zwar unabhängig davon, ob der Steuerzahler seine Steuererklärung zu spät abgegeben hat oder der Steuerbescheid vom Finanzamt zu spät erstellt wird. In der Praxis treten so immer wieder Fälle auf, bei denen der Steuerpflichtige sehr früh abgegeben hat, aber das Finanzamt (warum auch immer) sehr lange für eine Veranlagung braucht. Ergibt sich eine Nachzahlung, wird der brave und fristgerecht abgebende Steuerbürger dennoch mit den hohen Zinsen zur Kasse gebeten. Insoweit hat er lediglich die Möglichkeit, etwaigen Zinsen mit einer vorzeitigen Zahlung ohne Steuerbescheid zu begegnen. Fraglich ist dabei, ob das Finanzamt diese Zahlung dann auch tatsächlich annimmt und nicht wieder zurückerstattet und (in Fällen, in denen der Steuerpflichtige seine Steuererklärung selbst macht) dieser überhaupt weiß, welche Steuernachzahlung entsteht.
Darüber hinaus besteht eine weitere ganz eklatante Ungleichbehandlung zwischen erhaltenen Zinsen und gezahlten Zinsen: Vom Finanzamt erhaltene Zinsen sind steuerpflichtig, gezahlte Zinsen können aber nicht steuermindernd geltend gemacht werden. Im Endeffekt führt dies dann dazu, dass der Bürger auf den 6 % Nachzahlungszinsen komplett „sitzen bleibt“, während sich der Staat durch die Hintertür, nämlich die Besteuerung der ausgezahlten 6 %, wieder einen Teil davon zurückholt. Unter dem Strich könnte man ggfs. sogar behaupten, dass vor diesem Hintergrund die Belastung mit Nachzahlungszinsen und Erstattungszinsen auf beiden Seiten nicht identisch hoch ist, sondern Vater Staat sich einen Vorteil „ergaunert“ hat.
Die Forderung im Bundestag lautet daher: Der Staat profitiert von den niedrigen Zinsen, daher ist es ein Gebot der Fairness und der Gerechtigkeit, diese auch den Bürgerinnen und Bürgern zu gewähren. Wir wollen hoffen, dass dieses Ansinnen auch über die verschiedenen Fraktionen hinweg Gehör findet und der Gesetzgeber tätig wird. Die Hoffnung stirbt dabei bekanntlich zuletzt, insbesondere wenn man bedenkt, dass der Staat allein durch die Verzinsungen sicherlich einen guten Batzen an Einnahmen realisiert.