Steuerbüro Bachmann

Antragstellung der Günstigerprüfung bei Kapitalerträgen

Seit dem Veranlagungsjahr 2009 werden Einkünfte aus Kapitalvermögen grundsätzlich mit der Abgeltungssteuer von 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer besteuert. Dies ist jedoch in der Tat nur der Grundsatz. Wie bei fast allen Grundsätzen im Steuerrecht gibt es auch von diesem Grundsatz mehrere Ausnahmen. So existiert insbesondere eine sogenannte Günstigerprüfung. Dabei werden auf Antrag des Steuerpflichtigen (anstelle der Anwendung der Abgeltungssteuer) die ermittelten Kapitaleinkünfte den übrigen Einkünften anderer Einkunftsarten hinzugerechnet und der tariflichen Einkommensteuer unterworfen. Wenn dies zu einer niedrigeren Einkommensteuer einschließlich Zuschlagsteuern führt, wird anstelle des Abgeltungssteuersatzes der persönliche Steuersatz auf die Kapitalerträge angewendet.

In der Praxis hat sich nun dabei ein Problem herauskristallisiert, weil sich (um es deutlich zu sagen) der Fiskus auf einen kaum nachvollziehbaren Standpunkt stellt. In einem Fall vor dem Finanzgericht Köln ging es um einen Steuerpflichtigen, der sowohl gewerbliche Einkünfte aus der Beteiligung an einer Personengesellschaft hatte, als auch Einkünfte aus Kapitalvermögen. Bei Abgabe der Einkommensteuererklärung hatte er die Günstigerprüfung nicht beantragt. Grund dafür war schlicht, dass die tarifliche Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ungünstiger war und somit bereits die Besteuerung mit der Abgeltungssteuer zum günstigsten Ergebnis führte.

Erst später erging ein Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen hinsichtlich der gewerblichen Einkünfte aus der Beteiligung an der Personengesellschaft. Mit diesem für die Einkommensteuerveranlagung grundlegenden Bescheid wurden die bisher angenommenen Einkünfte aus Gewerbebetrieb deutlich herabgesetzt. Die Folge: Auf einmal war die tarifliche Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen deutlich günstiger als die Abgeltungssteuer. Dies erkannte der Steuerpflichtige auch, legte gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid Einspruch ein und beantragte darin, die Günstigerprüfung für die Einkünfte aus Kapitalerträgen durchzuführen.

Das Finanzamt lehnte diesen Antrag jedoch ab und berief sich dabei auf die Regelung des § 351 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Darin ist im Wesentlichen geregelt, dass ein Einkommensteuerbescheid, der einen bereits unanfechtbaren ersten Einkommensteuerbescheid ändert, nur insoweit angegriffen werden kann, als die Änderung reicht. Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn die Abgabenordnung noch eine andere Korrekturvorschrift für den unanfechtbaren Verwaltungsakt bereithält. Weil jedoch die Finanzverwaltung in ihrer fiskalischen Auslegung der Dinge keine Korrekturvorschrift erkennen wollte, lehnte sie die Änderung schlichtweg ab und beharrte darauf, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen auch weiterhin mit dem nun ungünstigeren Abgeltungssteuersatz zur Besteuerung herangezogen werden müssen.

Dabei übersah das Finanzamt offensichtlich jedoch die Korrekturvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 AO, wonach ein Einkommensteuerbescheid auch noch geändert werden kann, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Da insoweit der Feststellungsbescheid über die herabgesetzten Einkünfte aus Gewerbebetrieb ein entsprechendes rückwirkendes Ereignis darstellt, kann der Einkommensteuerbescheid auch noch geändert werden, und die Günstigerprüfung muss durchgeführt werden.

Zu diesem Ergebnis ist auch das erstinstanzliche Finanzgericht Köln in seiner Entscheidung vom 30.03.2017 unter dem Aktenzeichen 15 K 2258/14 gekommen. Insoweit weisen die erstinstanzlichen Richter erfreulich praxisnah darauf hin, dass ein Antrag auf Günstigerprüfung bei der Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen auch dann noch nachträglich gestellt werden kann, wenn eine vorherige Antragstellung nicht zuzumuten ist, weil sie zuvor ins Leere gegangen und damit rechtlich bedeutungslos gewesen wäre.

Dass diese für den Steuerpflichtigen positive Entscheidung dem Fiskus nicht schmeckt, ist nicht schwer zu erraten. Dennoch wundert es sehr, dass sich die Finanzverwaltung nicht mit der erstinstanzlichen Entscheidung zufrieden gibt. Immerhin ist ihr erstes Argument, wonach es keinen Änderungsrahmen beim geänderten Einkommensteuerbescheid gibt dahin, da insoweit die Korrekturvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 AO angewendet werden kann.

Weiterhin hat das erstinstanzliche Finanzgericht Köln ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine vorherige Antragstellung ins Leere gegangen wäre, weshalb sie nicht nur sinnlos gewesen wäre, sondern auch nicht zumutbar war. Trotz dieser logischen Argumentation hat das Finanzamt Revision beim Bundesfinanzhof in München eingelegt, welche dort unter dem Aktenzeichen VIII R 6/17 anhängig ist.

Insoweit müssen nun die obersten Finanzrichter der Republik darüber entscheiden, ob ein Antrag auf Günstigerprüfung im Zusammenhang mit den Einkünften aus Kapitalvermögen auch dann wirksam (nachträglich) gestellt werden kann, wenn die Voraussetzungen der Norm erst durch einen Änderungsbescheid erstmals geschaffen werden.

Tipp: Betroffenen Steuerpflichtigen ist dringend zu raten, sich an das Musterverfahren beim Bundesfinanzhof anzuhängen, und auf die günstigere Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen zur tariflichen Einkommensteuer zu beharren.

 

Exkurs: Sofern sich der Bundesfinanzhof entgegen der Meinung seiner erstinstanzlichen Kollegen auf die Seite der Finanzverwaltung schlagen würde, hätte dies zwangsläufig zur Folge, dass im Rahmen einer jeden Einkommensteuerveranlagung mit Einkünften aus Kapitalvermögen auch die Günstigerprüfung in diesem Zusammenhang vorsorglich beantragt werden muss. Im Ergebnis würden daher zahllose nutzlose und unsinnige Anträge bei der Finanzverwaltung eingehen. Ob dies im Sinne einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Wunsch des Fiskus ist?