Ganz aktuell wird an vielen Orten darüber diskutiert, dass eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen geschaffen werden soll. Das große Problem dabei: Die Definition, was denn überhaupt alles eine Steuergestaltung ist. Wie schwierig (und gefährlich) dies tatsächlich ist, zeigt sich an einem aktuellen Urteil des Bundesfinanzhofs in München, bei dem die Finanzverwaltung (mal wieder) deutlich über das gesetzgeberische Ziel hinausgeschossen ist.
Im Urteilsfall ging es um einen Steuerpflichtigen, der Anteile an einem Fonds nach luxemburgischem Recht erworben hatte. Aufgrund des Kaufs der Investmentfondsanteile musste der Steuerpflichtige erhebliche Zwischengewinne zahlen. Als Zwischengewinn versteht man dabei das Entgelt für die dem Anleger noch nicht zugeflossenen oder als zugeflossen geltenden Zinserträge, zinsähnliche Erträge und Ansprüche des Investmentvermögens. Rein wirtschaftlich und zum besseren Verständnis dürften entsprechende Zwischengewinne vergleichbar sein mit den zu zahlenden Stückzinsen bei festverzinslichen Wertpapieren.
Zur steuerlichen Behandlung findet sich sogar etwas im Erlass des Bundesfinanzministeriums vom 18.08.2009 (Az: IV C 1 – S 1980 1/08/10019) zum Investmentsteuergesetz, wo es in Rz. 21 a heißt: ‚Mit dem Zwischengewinn werden die Zinserträge und Zinssurrogate, die bereits während des Geschäftsjahres des Investmentvermögens ‚erzielt‘ werden, im Falle von unterjähriger Rückgabe oder Veräußerung des Investmentanteils der Besteuerung unterworfen. Beim Erwerb des Investmentanteils gezahlter Zwischengewinn ist grundsätzlich beim Privatanleger als negative Einnahme aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen, da hierdurch eine Überbesteuerung beim späteren Ertragszufluss (Ausschüttung, Ertragsthesaurierung bzw. vereinnahmter Zwischengewinn) vermieden wird.‘
Trotz dieser eindeutigen Verwaltungsauffassung oder auch wegen der im vorliegenden Fall sechsstelligen Höhe der als negative Einkünfte zu berücksichtigenden Zwischengewinne kam die Finanzverwaltung zu dem Schluss, dass hier doch ein Steuerstundungsmodell gegeben sein könnte. Eine so hohe Verlustverrechnung ist nach Meinung des Fiskus offenbar doof, weshalb wohl ein Steuerstundungsmodell gegeben sein muss.
Geregelt sind solche Steuerstundungsmodelle in § 15 b des Einkommensteuergesetzes (EStG). Über § 20 Abs. 7 EStG ist die Regelung zu Verlusten im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen auch bei den Einkünften aus Kapitalvermögen sinngemäß anzuwenden. Unter dieser fadenscheinigen Begründung wollte daher das Finanzamt in der steuermindernden Berücksichtigung der gezahlten Zwischengewinne ein Steuerstundungsmodell erkennen und so eine steuermindernde Verrechnung der Zwischengewinne mit anderen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen nicht zulassen.
Mit der Zielsetzung, die steuermindernde Verrechnung der Zwischengewinne in jedem Fall zu verhindern, ließen sich die Finanzbeamten auch nicht von einem Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 22.09.2014 unter dem Aktenzeichen 10 K 1693/12 abschrecken.
Schon in der erstinstanzlichen Entscheidung dieses Streitfalls hatte nämlich das Finanzgericht des Landes Baden-Württemberg klargestellt, dass die Voraussetzungen für ein Steuerstundungsmodell nicht vorliegen, wenn ein Finanzprodukt nicht konzeptionell auf die Erzielung eines bestimmten Steuervorteils angelegt ist, sondern ein Steuerpflichtiger lediglich erkennt, dass der Erwerb eines am Marktes existierenden Finanzproduktes die Erzielung eines individuellen Steuervorteils ermöglicht.
Exakt dies ist hier geschehen. Der Steuerpflichtige hat erkannt, dass er beim Erwerb des Investmentfonds die negativen Zwischengewinne nach geltendem Recht mit seinen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen in diesem Jahr verrechnen kann. Dies entspricht jedoch nicht einer modellhaften Gestaltung im Sinne eines Steuerstundungsmodells nach § 15 b EStG. Folglich kamen die erstinstanzlichen Richter auch zu dem eindeutigen Schluss: Liegt keine modellhafte Gestaltung vor, ist eine Verlustverrechnung von Zwischengewinnen aus einem Investmentfonds nicht ausgeschlossen.
Diese erstinstanzliche Entscheidung hat erfreulicherweise auch der Bundesfinanzhof in München mit Urteil vom 28.06.2017 unter dem Aktenzeichen VIII R 57/14 bestätigt. Danach gilt: Hohe (negative) Zwischengewinne beim Erwerb von Anteilen an einem Investmentfonds führen nicht ohne weiteres zur Annahme eines Steuerstundungsmodells. Insoweit ist eine Verlustverrechnung mit anderen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen definitiv möglich.
Ganz ausdrücklich führen die obersten Finanzrichter der Republik noch aus, dass – selbst wenn negative Zwischengewinne beim Erwerb eines Investmentanteils zu einem Verlust im Sinne des § 15 b EStG führen könnten – dies nicht bedeutet, dass das Verlustverrechnungsverbot auch Anwendung findet.
Insoweit hat der Bundesfinanzhof bereits mit Urteil vom 17.01.2017 unter dem Aktenzeichen VIII R 7/13 festgestellt, dass es für die Annahme eines Steuerstundungsmodells Voraussetzung ist, dass auf ein vorgefertigtes Konzept zurückgegriffen wird. Das bloße Aufgreifen einer bekannten Gestaltungsidee, wie hier der Erwerb eines Fondsanteils zur steuermindernden Verrechnung der Zwischengewinne, führt nicht ohne Weiteres zur Annahme eines Steuerstundungsmodells.
Damit ein Steuerstundungsmodell und ein vorgefertigtes Konzept gegeben sind, muss von einer vom Steuerpflichtigen verschiedenen Person, in der Regel also von einem Anbieter oder Initiator, ein entsprechendes Konzept erstellt worden sein. Charakteristisch ist dabei die Passivität des Anlegers, was beim Erwerb eines Investmentfondsanteils schon mal nicht der Fall ist. Selbst wenn der Investor oder Anleger eine von ihm selbst oder dem in seinem Auftrag tätigen Berater entwickelte oder modifizierte und individuell angepasste Investition umsetzt, liegt nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs kein Steuerstundungsmodell vor.
Im Fazit führt diese Einordnung dazu: Beruhen Investitionen, wie hier die Beteiligung an dem Investmentfonds, nicht auf einem vorgefertigten Konzept, sondern auf einer individuellen Gestaltung, so ist weder ein Steuerstundungsmodell noch ein Gestaltungsmissbrauch gegeben. Eine eventuell mögliche Verlustverrechnungsbeschränkung tritt daher nicht ein. Die vom Steuerpflichtigen angestrebte Gestaltung führt daher auch zum vollen Erfolg.