Ein Kind, welches das 18. Lebensjahr vollendet hat, wird beim Kindergeld (oder den Kinderfreibeträgen) nur noch berücksichtigt, wenn es bestimmte weitere Kriterien erfüllt. So wird ein volljähriges Kind, das noch nicht das vom 25. Lebensjahr vollendet hat, unter anderem nur berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. In der Praxis und dem folgend in der steuerlichen Rechtsprechung ist dabei immer wieder strittig, ob in der jeweiligen Tätigkeit eines Kindes auch tatsächlich eine Berufsausbildung gegeben ist. So war es auch im hier zugrunde liegenden Sachverhalt.
Fraglich war in einem vor dem Bundesfinanzhof abschließend entschiedenen Fall, ob in einem lediglich berufsbegleitenden Studium, für das nur wenige Wochenstunden aufgewendet wurden, tatsächlich noch eine Berufsausbildung entsprechend der Vorschriften zum Kindergeld gesehen werden kann. Im Sachverhalt hatte das maßgebliche Kind zunächst eine Berufsausbildung zum Physiotherapeuten abgeschlossen und absolvierte anschließend ein berufsbegleitendes Studium zur Physiotherapie. Die Präsenzzeiten dieses Studiums betrugen dabei lediglich fünf Stunden pro Woche. Neben dem Studium arbeitete das Kind 30 Stunden pro Woche als angestellte Physiotherapeutin.
Sowohl das Finanzamt als auch das erstinstanzliche Finanzgericht in Form des Finanzgericht Berlin-Brandenburg (Entscheidung vom 11.11.2015 unter dem Aktenzeichen 3 K 3221/15) erkannten zwar, dass das Studium zu einer mehraktigen Berufsausbildung gehörte und dementsprechend grundsätzlich Kindergeld gewährt werden müsste. Jedoch waren darüber hinaus auch beide der Auffassung, dass der zeitliche Umfang des Studiums dazu führt, dass aus kindergeldrechtlicher Sicht keine Berufsausbildung mehr gegeben ist. Die Folge: Kindergeld kann nicht mehr gezahlt werden.
Erfreulicherweise widersprach dem der Bundesfinanzhof in München mit seiner Entscheidung vom 08.09.2016 unter dem Aktenzeichen III R 27/15. Klar und deutlich stellen die Richter heraus, dass ein Kind auch dann für einen Beruf ausgebildet wird, wenn es neben seiner Erwerbstätigkeit ein Studium ernsthaft und nachhaltig betreibt.
Mit Hinblick auf die Vorschrift in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a des Einkommensteuergesetzes (EStG) stellten die Richter klar, dass das Tatbestandsmerkmal einer Berufsausbildung kein einschränkendes Erfordernis eines zeitlichen Mindestumfangs von Ausbildungsmaßnahmen enthält. Insbesondere grenzten die Richter deutlich ab, dass die Grundsätze, die die Rechtsprechung für die Anerkennung eines Sprachunterrichts im Rahmen eines Au-Pair-Aufenthalts als Berufsausbildung aufgestellt hat, im Hinblick auf eine im Inland absolvierte Schul- oder Universitätsausbildung keine Anwendung finden.
Dementsprechend gilt: Mehraktige Ausbildungsmaßnahmen sind Teil einer einheitlichen Erstausbildung, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann.
Ausweislich dieser Auffassung war daher Kindergeld zu gewähren, auch wenn die tatsächliche Wochenstudienzeit nur fünf Stunden beträgt.