Die steuerliche Berücksichtigung von Kindern ist in der Tat nicht gerade einfach und sehr unübersichtlich. So zumindest in der Gänze der Regelungen, die es zur steuerlichen Berücksichtigung von Kindern gibt. Insbesondere im Fall von behinderten Kindern ist die Regelung jedoch sehr einfach und übersichtlich.
Ausdrücklich heißt es in diesem Zusammenhang in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nummer 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG): Ein Kind, dass das 18. Lebensjahr vollendet hat, wird berücksichtigt, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Im Ergebnis werden damit behinderte Kinder, die sich nicht selbst unterhalten können, immer berücksichtigt, da Kinder bis zum 18. Lebensjahr auch immer berücksichtigt werden.
Tatsächlich ist jedoch auch die unbegrenzte Berücksichtigung im Rahmen des Kindergeldes für behinderte Kinder an eine Voraussetzung gebunden. Wortwörtlich heißt es dabei im Gesetz: „Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.“
Alles in allem also eine in diesem Bereich nachvollziehbare, übersichtliche und augenscheinlich leicht in die Praxis zu übertragende Regelung. So sollte man jedenfalls meinen. In einem Fall vor einer Kölner Familienkasse sah dies jedoch (leider) ganz anders aus. Im Sachverhalt hatte ein Kind einen angeborenen Gendefekt. Tatsächlich war das Kind später auch aufgrund dieses Gendefektes nicht mehr in der Lage, sich selbst zu unterhalten, weshalb die Eltern auch noch jenseits des 25. Lebensjahres Kindergeld einforderten.
Die Kölner Familienkasse verweigerte jedoch das Kindergeld mit der Begründung, dass die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt tatsächlich erst nach Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten sei. Dabei bestritt die Kölner Familienkasse keineswegs, dass der für die Unfähigkeit zum Selbsterhalt verantwortliche Gendefekt angeboren war. Mit anderen Worten, die Ursache für die Unfähigkeit sich selbst zu unterhalten, also die Behinderung, war tatsächlich bereits vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten. Vergleicht man dies mit dem Gesetzeszitat, ist die Gesetzeslage eindeutig, denn dort ist lediglich geregelt, dass die Behinderung vor Vollendung des 25 des Lebensjahres eingetreten ist. Diese Behinderung muss zwar zur Unfähigkeit des Selbstunterhaltes führen, diese Unfähigkeit kann jedoch noch später eintreten.
Es wundert daher nicht, dass auch dementsprechend das Finanzgericht Köln in seiner Entscheidung vom 12.01.2017 unter dem Aktenzeichen (Az: 6 K 889/15) entschieden hat, dass ein Kind mit einem angeborenen Gendefekt (im Urteilsfall handelte es sich um eine Krankheit/ Behinderung mit dem Namen Myotone Dystrophie Curschmann-Steinert) auch dann kindergeldrechtlich als Kind zu berücksichtigen ist, wenn die behinderungsbedingte Unfähigkeit des Kindes, sich selbst zu unterhalten, erst nach dem 25. Lebensjahr eingetreten ist. Insoweit sind nach der erstinstanzlichen Meinung des Kölner Finanzgerichtes auch dann Kindergeld bzw. alternativ die steuerlichen Kinderfreibeträge zu gewähren.
So sehr die erstinstanzliche Entscheidung aus Köln nicht verwundert, so sehr verwundert doch die Reaktion des Finanzamtes, welches gegen die Kölner Entscheidung Revision beim Bundesfinanzhof in München eingelegt hat. Unter dem Aktenzeichen XI R 8/17 muss dieser nun klären, ob für ein volljähriges Kind Anspruch auf Kindergeld besteht, wenn bei ihm ein Gendefekt erst nach Erreichen der Kindergeldaltersgrenze diagnostiziert wird und es davor seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten konnte. Unstrittig ist dabei jedoch nach wie vor, dass der Gendefekt, der für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt verantwortlich ist, angeboren war, also auch bereits vor Vollendung des 25. Lebensjahres bestanden hat.
Die Revision des Finanzamtes ist insbesondere deshalb so verwunderlich, weil doch die Gesetzeslage (vergleiche Gesetzeszitat oben) sehr eindeutig erscheint. Darüber hinaus ist jedoch nicht nur die Gesetzeslage eindeutig, auch die bisher zu diesem Thema ergangene Rechtsprechung ist klar und deutlich.
So hat der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 09.06.2011 unter dem Aktenzeichen III R 61/08 klargestellt, dass Voraussetzung für die Berücksichtigung eines über 25 Jahre alten behinderten Kindes nicht (!) ist, dass neben der Behinderung auch die dadurch bedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt bereits vor Vollendung des 25. Lebensjahres vorgelegen hat. Damit ist es aber nicht genug, denn im selben Jahr hat der Bundesfinanzhof am 04.08.2011 unter dem Aktenzeichen III R 24/09 eine weitere Entscheidung mit diesem Tenor getroffen. Klar und eindeutig heißt es dort, dass § 32 Abs. 4 Satz 1 Nummer 3 EStG nicht voraussetzt, dass neben der Behinderung des Kindes auch dessen behinderungsbedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt vor Erreichen des 25. Lebensjahres eingetreten sein muss.
Insoweit ist eine eindeutige Gesetzeslage auch bereits durch eine eindeutige Rechtsprechung bestätigt worden, was die Revision des Finanzamtes umso schwerer verständlich macht.
Alles in allem ist daher nicht verständlich, warum das Finanzamt in einem solchen Fall den Revisionszug besteigt und die sicherlich schon genug gebeutelten Steuerpflichtigen nicht einfach in Ruhe lässt.