Die Szenerien sind bekannt: Der Staat oder einzelne Länderfinanzministerien (allen voran das Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalens) kaufen in schon nahezu regelmäßigen Abständen so genannte Steuer-CDs unter dubiosen Umständen von manchmal noch dubioseren Verkäufern ein. Auf diesen CDs befinden sich regelmäßig erhebliche Datensätze von deutschen Steuerstraftätern, also von Leuten, die im Ausland Schwarzgeld deponiert haben und mit den angekauften Daten identifiziert werden können.
Wenn nun in der Vergangenheit eine solche Steuer-CD gekauft wurde, kam es in der Folge regelmäßig zu einer erheblichen Anzahl von Selbstanzeigen der entsprechenden Steuerstraftäter. Auf diese Weise muss der Fiskus überhaupt nicht mehr die gekauften Daten komplett auswerten und hat sogar wahrscheinlich regelmäßig von Sachverhalte erfahren, die gar nicht auf den entsprechenden CDs genannt waren. Diese Folge eines Steuer-CD-Ankaufs durch die Finanzverwaltung könnte nun jedoch Geschichte sein.
Der Grund ist eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig Holstein mit Beschluss vom 30.10.2015 unter dem Aktenzeichen 2 RSS 63/15 (71/15). Im Urteilsfall geht es konkret darum, dass die Straffreiheit durch eine Selbstanzeige nicht mehr möglich ist, wenn auch nur eine der begangenen Straftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder aber (und darauf kommt es jetzt verstärkt an) bei verständiger Würdigung der Sachlage mit der Kenntnis der Finanzverwaltung hätte rechnen müssen.
Die Frage ist also: Womit muss man alles rechnen? Nach Meinung des Oberlandesgerichts Schleswig Holstein mit sehr viel. Die Entscheidung besagt nämlich, dass eine strafbefreiende Selbstanzeige schon dann nicht mehr möglich ist, wenn der Medienberichterstattung konkret zu entnehmen ist, von welcher ausländischen Bank Daten angekauft wurden.
Hat ein Steuerstraftäter nun bei dieser Bank auch tatsächlich sein Schwarzgeld deponiert, so muss er auch bereits mit der Tatentdeckung rechnen bzw. diese zumindest für durchaus möglich oder sogar wahrscheinlich halten. Dafür kommt es nicht darauf an, ob er auch tatsächlich weiß oder wissen könnte, dass gerade sein persönlicher Datensatz sich auf dieser CD befindet. Entscheidungserheblich soll vielmehr sein, ob in der Presse bekannt wird, dass Daten einer Bank XY angekauft worden, bei der auch das Schwarzgeld deponiert ist.
Fraglich ist nun, ob der Steuerstraftäter allein durch den Ankauf der CD tatsächlich ernsthaft damit rechnen musste, dass seine Tat entdeckt wurde. Die bisherige Literaturmeinung ging jedenfalls in eine andere Richtung. Danach war nur dann mit einer Tatentdeckung zu rechnen, wenn sich diese nahezu aufdrängen musste. Allein der Ankauf von Daten einer Bank, bei der man selber ein Konto hat, hat zumindest nicht zu diesem Aufdrängen geführt. Durch den aktuellen Beschluss scheint dies nun anderes zu sein.
Fraglich ist, ob sich die Finanzverwaltung selbst über das Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig Holstein freut. Immerhin war ein großer Zweck der Steuer-CDs (insbesondere durch den Ankauf des nordrhein-westfälischen Landes Finanzministerium), dass eine gewisse Droh-Kulisse geschaffen wurde, um entsprechende Steuerstraftäter eben in die Selbstanzeige zu treiben. Wenn nun bereits der Ankauf einer Steuer-CD und die Berichterstattung darüber in den Medien dazu führt, dass mittels Selbstanzeige keine Straffreiheit mehr erreicht werden kann, stellt sich die Frage, warum ein Steuerstraftäter überhaupt noch eine Selbstanzeige stellen sollte.
Die Risikoabwägung für den Steuerstraftäter bekommt so ein vollkommen anderes Gewicht. Bisher war nach Ankauf einer CD eine realistische Möglichkeit gegeben, dass damit die Tat eines Täters entdeckt wurde. Sicher war dies nicht. Demgegenüber stand jedoch die Möglichkeit, seine Straftat mittels Selbstanzeige selber preiszugeben und so zumindest mit Sicherheit Straffreiheit zu erlangen. Nach dem Urteil des Oberlandesgerichts hat sich das Risiko der Tatentdeckung nach dem Ankauf einer neuen CD nicht verändert. Im Gegensatz dazu besteht jedoch auch keine Möglichkeit mehr auf Straffreiheit, weshalb sich Täter die Frage stellen werden, warum sie überhaupt noch eine Selbstanzeige einlegen sollten. Ob dies im Sinne der Finanzverwaltung sein kann, bleibt abzuwarten. Ebenso ist eine höchstrichterliche Überprüfung des Beschlusses des Oberlandesgerichts sicherlich zu wünschen.